2001
Wenn es heisst, die Hunde würden Bärte tragen,
wenn der neue, allmächtige Gott
Fresspakete vom afghanischen Himmel regnen lässt
oder Bomben, je nach dem,
ob die Hunde heulen oder beissen, dann
bleibt alles fast normal hier.
Die Welt dreht weiter.
Und die schönste Jungfer bekommt Schärpe und Krönlein.
Und die Lieblingsmaler malen weiter ihre Zirkuspferdchen.
Und die Lieblingssänger singen weiter ihre Alpenschlager.
Und die Kindergärtnerinnen lassen Kürbisköpfe leuchten.
Und die Kinder basteln weiter mit den Käseschachteln
Und die Lastwagen überqueren jeden Berg.
Und in den Nachtclubs tanzen schlanke Ukrainerinnen.
Und im Bahnhof leert der Kumpel aus Sevilla
noch immer unsere Abfalleimer.
Und bald gibt es wieder Skirennen.
Und fast alle finden fast alles irgendwie geil.
Und die Eingeborenen beteuern tapfer:
«Merci, es geit, es mues. U säuber o?»
Ja, wenn es heisst, die Hunde würden Bärte tragen,
und wenn der neue, allmächtige Gott
Grenadiere vom afghanischen Himmel regnen lässt
oder Fresspakete,
je nach dem, ob die Hunde beissen oder heulen,
dann
bleibt CNN auf Sendung.
Aber noch gibt es Augen, die nicht bloss in Bildröhren schauen,
oder Ohren, die zu unterscheiden suchen,
oder Köpfe, die weiter drehen, auch wenn es dunkel wird.
Noch gibt es Zweifler, die an den Zwischentönen
herum studieren und an den Möglichkeiten,
die das Leben bereithielte.
Ernst A. Müller hat uns einmal mehr dazu eingeladen, an seiner Gedankenwelt teilzuhaben. «Gegenüberstellungen», nennt er diese Bildergruppen von jeweils drei Lithographien, obgleich es sich, genau besehen, nicht bloss um eine Gegenüber-, sondern auch um Zusammenstellungen handelt. Und zwar sind es Zusammenstellungen, durch die es dem Künstler spielend glückt, das Assoziationsvermögen all jener anzuregen, die nicht für sich in Anspruch nehmen, alles schon mal gesehen zu haben oder alles längst zu wissen. Und das ist gut so, denn, um Müller zu zitieren: «Der Mensch ist beschränkt und nur die vollauf Beschränkten nehmen ihre Beschränkung nicht wahr.»
Müllers Wissen um unsere Beschränktheit lässt ihn oft die scheinbar unspektakulären Dinge ernst nehmen und hervorheben. So sind viele der von Müller gewählten Bildmotive alltäglich und folglich den meisten Betrachterinnen und Betrachtern scheinbar vertraut. Und dennoch wird das Verblüffende, das Exotische, das Sensationelle, von dem im Kisch-Zitat auf der Einladung zu dieser Vernissage die Rede ist, klar sichtbar. Dieser Steigerung des Gewöhnlichen zum Ungewohnten ergibt sich durch die Verbindungen, die Müller uns vorschlägt.
Die Aussagekraft jeder einzelnen Lithographie hängt unmittelbar mit der Gruppe zusammen, zu der sie gehört. Und wenn es anfangs auch scheinen mag, die Dreiergruppen seien nur in Form und Farbe zusammengehörig, so wird doch bald deutlich, wie raffiniert die jeweiligen Motive einander gegenübergestellt sind.
Selbstverständlich haben beispielsweise die Iris eines Menschenauges, der Hamster im Rad und der Atompilz auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Wer jedoch von der runden Form ausgeht und sich etwa überlegen mag, weshalb der Hamster ruhig seine nutzlosen Runden dreht, derweil ausserhalb seines Rades eine Atombombe gezündet oder ein Auge durchleuchtet wird, kann schnell ins Grübeln geraten.
Die meisten der hier Anwesenden wissen vermutlich, dass Müller ein Künstler mit einem bemerkenswerten Geschichtenbewusstsein ist. Dabei zu sein, wenn er in den Kartonschachteln seines Ateliers nach Zeitungsausschnitten sucht um zu erläutern, woher die einzelnen Motive stammen, welche Beziehung er selbst zu seinen Vorlagen hat und in welchen Beziehungen wiederum die Vorlagen untereinander stehen, ist ein einmaliges Seh- und Hörerlebnis.
Und das Erstaunlichste dabei ist, dass all die vielen Geschichten, die Müller seinen Besuchern über seine Bilder erzählen kann, noch bei weitem nicht ausreichen, um seine Bildfolgen auch bloss ansatzweise zu erklären. Genau hier liegt vermutlich Müllers Grösse als Künstler. Er erzählt mit seinen Bildern viele, unendlich viele mögliche Geschichten, aber er erklärt nichts abschliessend.
Wenn etwa die Fussballfans ihre Hände zum Nazigruss erheben, vermutlich ohne zu merken, welche Bedeutung auch heute noch von einer solchen Geste ausgeht, dann setzt Müller ihnen andere, ähnlich ausgerichtete, tote Gummihände entgegen. Dazwischen aber, schiebt er ein Bild von weissen, offenen Händen. Es sind die Hände, die sich gegen einen neuen Faschismus, in diesem Fall den Faschismus baskischer Mörder, richten.
Der Tod umrankt auch die Stempeluhr einer Fabrik. Diesem Relikt einer allmählich sterbenden Industriekultur hängt links das Abbild der letzten Fotografie der Seeleute eines untergehenden U-Boots (Kursk) zur Seite, während rechts die Börse auf ihre Opfer zu warten scheint.
In seiner Serie mit Nussschalen werden wir, zum Beispiel, daran erinnert, dass der Schädel zwar hart sein mag, aber dass es letztlich doch der weiche Teil des Kopfes ist, der das Denken besorgen muss.
Ohne die Bilder auch nur annähernd deuten zu wollen oder zu können, möchte ich hier ein paar mögliche Fragen aufwerfen.
Warum sind sich zuweilen Schreibgerät und Exekutionsgerät so verblüffend ähnlich?
Was will der Hamster in der ewigen Tretmühle mit mir zu tun haben? Läuft alles rund, auch wenn daneben Atombomben gezündet werden?
Wie verhalten sich Börsengewinne zu Stempeluhren?
Sie sehen schon, meine Damen und Herren, an offenen Fragen fehlt es nicht. Und genau dafür haben wir Aschi Müller zu danken, dafür, dass er uns nicht einlullt, dafür, dass er uns ob der Schönheit der Formen, die Bosheit mancher Realitäten nicht verschweigt, dafür, dass er nicht aufhört, uns Fragen zu stellen.
Pedro Lenz